Für Birgit Polz war Tanz schon als Kind künstlerisches Ausdrucksmittel und schlichtweg ein Symbol für Freiheit. Für tanzmuster lässt sie uns in ihren Arbeitsalltag als Tanz- und Theaterpädagogin – und ihre tänzerische Biografie blicken. Ihre Message: in uns allen steckt ein:e Künstler:in!
tanzmuster: Du bist sehr vielseitig aktiv und setzt Tanz auf ganz eigene Weise ein. Welche Rolle spielt Tanz für dich, in deiner Arbeit im Theater und mit Jugendlichen?
Körpersprache ist das wichtigste Medium in der Kommunikation…
Birgit P.: Tanz hat immer eine sehr große Rolle für mich gespielt. Weil es so viel um Körperhaltung und Körpersprache geht! Körpersprache ist das wichtigste Medium in der Kommunikation… Ich arbeite primär mit Jugendlichen im Brennpunkt. Es ist besonders auch für jüngere Menschen wichtig, ein Gefühl dafür zu bekommen, was Mimik und Gestik bedeuten und was sie mit ihrer Körpersprache ausdrücken. Das sind unglaublich bedeutende Elemente in der Kommunikation, die sie ihr ganzes Leben lang anwenden können. Bei den Themen Nähe und Distanz – da merke ich immer wieder, dass die Schüler:innen, mit denen ich arbeite, wenig Ahnung haben, dass Körpersprache eine entscheidende Rolle im Alltag spielt. Sie setzen sie ein, oft unbewusst…um zu drohen zum Bespiel, da machen sie sich groß. Ich lasse es sie sich beobachten und spiegeln – und sehe, wie überrascht sie dann sind! | ![]() |
tanzmuster: Wie kommt der Tanz dort ins Spiel?
Tanz sagt mehr als 1000 Worte.
Birgit P.: Ich vereine verschiedene Bereiche in meiner Arbeit: ich habe Tanz viel in Tanztheaterprojekte eingebunden. Zum Beispiel habe ich dort auch gesellschaftliche Themen wie „Ehrenmord“ künstlerisch umgesetzt, mit Jugendlichen aus unterschiedlichen Kulturen. Ein wichtiges politisches Thema… In der Gruppe sprachen nicht alle die deutsche Sprache, aber alle haben es verstanden. Durch die Musik, durch den Ausdruck, die Bewegungen. Tanz sagt mehr als 1000 Worte. Das Stück hat auch einen Preis bekommen.
tanzmuster: Großartig! Welche weiteren Themen hast du in Kunst verarbeitet?
Birgit P.: Ich erinnere mich sehr gern an ein Tanztheater mit etwas Jüngeren – zum Thema Umweltverschmutzung. Das lief komplett ohne Sprache, nur mit Musik. Die Jugendlichen haben tänzerisch Fragen erforscht: was bedeutet es für die Meereswesen, wenn Gift ins Wasser gelangt? Da haben sie ganz anders erfasst, was mit der Natur passiert und einen persönlichen Bezug zum Thema hergestellt, indem sie die Wesen im Wasser selbst dargestellt haben. Politische und gesellschaftsrelevante Themen erreichen gerade junge Menschen nicht einfach durch Reden und Theorie. Das sind lebendige Themen, mit denen man sich lebendig beschäftigen darf.
Birgit P.: Ich erinnere mich sehr gern an ein Tanztheater mit etwas Jüngeren – zum Thema Umweltverschmutzung. Das lief komplett ohne Sprache, nur mit Musik. Die Jugendlichen haben tänzerisch Fragen erforscht: was bedeutet es für die Meereswesen, wenn Gift ins Wasser gelangt? Da haben sie ganz anders erfasst, was mit der Natur passiert und einen persönlichen Bezug zum Thema hergestellt, indem sie die Wesen im Wasser selbst dargestellt haben. Politische und gesellschaftsrelevante Themen erreichen gerade junge Menschen nicht einfach durch Reden und Theorie. Das sind lebendige Themen, mit denen man sich lebendig beschäftigen darf.
Eine andere meiner Inszenierung beschäftigte sich mit der Pubertät und dem dazugehörigen Gefühlschaos. Wir haben dazu eine völlig schräge, geradezu dadaistische Arbeit mit den Jugendlichen im Alter von 14 bis 15 kreiert – und diesen Zustand als Tanztheater dargestellt. Von witzig bis traurig und tragisch waren alle Gefühle dabei! Chaos – körperlich und emotional… Da haben wir die Innenwelt der jungen Menschen dargestellt, alle Gefühle purzeln durcheinander, wie die Säfte im Gehirn. Teilweise mit Sprache, mit viel Musik. In der Regel arbeite ich mit Mädchen, beim Umweltprojekt z. B. waren auch Jungs dabei und haben die Gifttonnen gespielt (lacht).
tanzmuster: Wie definierst du Kunst?
Birgit P.: Kunst ist für mich und in meinem Arbeitsbereich, wenn Bewegung, Musik, Performance und Choreografie in eine reproduzierbare Form gegossen werden.
Man kann also über den Körper lernen, die Perspektive zu wechseln.
Das Schöne am Tanz ist, dass man ihn altersgemäß so gut anpassen an. Jeder Mensch reagiert auf Musik. Ich mache auch Anti Gewalt Training, wo bedrohliche Körpersprache ein großer und wichtiger Teil der Arbeit ist. In der Einzelarbeit merke ich auch immer sehr, wie sich die Psyche auf den Körper auswirkt und umgekehrt. Wenn man körperlich neue Bewegungsmuster erlernt, hat dies eine enorme Auswirkung auf die inneren Verhaltensmuster. Man kann also über den Körper lernen, die Perspektive zu wechseln.
tanzmuster: Wenn man sich dann das vor Augen führt, dass viele Kinder und Jugendliche sich gar nicht bewegen…
Birgit P.: Absolut. Ich arbeite mit einem Jugendlichen, der hat eine ganz gebeugte Körperhaltung, weil er immer das Smartphone auf dem Knie liegen hat und herunterschaut. Wenn man ihn aufrichtet, fühlt er sich bedroht. Er kennt das Gefühl nicht, sich gerade zu machen.
tanzmuster: Kann man so etwas noch mit Training „retten“?
Birgit P.: Mit meiner Arbeit kann ich nur Impulse setzen. Er muss selbst wollen, sich aufzurichten. Irgendwann ist auch ein Schaden da, wenn der Körper nicht richtig bewegt und aufgerichtet wird. Das muss jemand wirklich wollen, um etwas zu verändern. Den Teil kann ich für niemanden übernehmen.
Es war für mich die absolute Freiheit, meinen Körper so zu bewegen, dass ich fliegen kann.
tanzmuster: Wie bist du selbst zum Tanz gekommen?
Birgit P.: Ich habe seit Kind klassisches Ballett getanzt. Ich habe den Tanz auch sofort als Kunstform kennengelernt… Mit meinem kindlichen Erfassen gab es da einen entscheidenden Moment: ich bin bei einem Sprung durch die Luft geflogen – und habe dabei völlige Freiheit gespürt! Es war für mich die absolute Freiheit, meinen Körper so zu bewegen, dass ich fliegen kann.
Wenn eine Gruppe in der Gemeinschaft tanzt, dann ist das pure Kraft.
tanzmuster: Was begeistert dich heute; mit deinem erwachsenen Erfassen, am Tanz?
Birgit P: Tanz ist ein Sprachrohr. Der Körper wird zum Instrument, zu Melodien. Von Punk bis Klassik – der Körper kann alles ausdrücken. Wenn eine Gruppe in der Gemeinschaft tanzt, ist das pure Kraft.
Man braucht im Theater keine Requisiten, weil der Körper alles darstellen kann: einen Baum, ein Haus, eine Gifttonne, man hat alle Möglichkeiten! Es gibt im Tanz ja eine ganz eigene Sprache, die alle verstehen.
tanzmuster: Wie tanzt ein junger Mensch den ersten Schritt? Gerade bei Schulprojekten haben die Kids ja nicht immer große Lust, direkt mitzumachen, oder?
Wie bekomme ich Jugendliche aus dem sozialen Brennpunkt in die klassische Musik?
Birgit P.: Da habe ich mir tatsächlich eine Methode für überlegt! Zuerst lasse ich die Projekt Teilnehmerinnen auf dem Boden liegen, mit geschlossenen Augen. Dazu lasse ich ein klassisches Musikstück laufen. Danach sollen sie erstmal erzählen, welche Bilder sie zu der Musik gesehen haben. Zum Beispiel waren sie in Marokko in den Bergen oder in der Türkei am Meer, mit ihrer Familie am Strand. Diese Gefühle werden in eine Bewegungssequenz umgesetzt und machen so den Zugang zu ungewohnter Musik möglich.
Wie bekomme ich Jugendliche aus dem sozialen Brennpunkt in die klassische Musik? Genau so.
In der Körperarbeit fließt ja alles zusammen: Meditation, Imagination…ich gehe über ihre eigenen inneren Bilder mit ihnen in die Bewegung und die Musik.
![]() | Natürlich ist es auch total wichtig, ein paar Techniken beizubringen. Man kann einem Kind oder Jugendlichen nicht einfach sagen „Tanz mal frei im Raum!“. Das ist total überfordernd. Da braucht es erstmal einen sicheren Rahmen und geführte Bewegungen; ebenso Übungen zum Fokussieren, zur Orientierung im Raum. Innerhalb dieses Rahmens sind Improvisationen dann möglich.
|
tanzmuster: Fantastisch! Hattest du ein Vorbild, welches deine Art, mit Tanz zu arbeiten, inspiriert hat?
Birgit P.: Natürlich Pina Bausch und Royston Meldoom. Als Kind hatte ich das Glück, viele Jahre in eine Ballettschule zu gehen, was mein Leben entscheidend geprägt hat. Danach bin ich dann mehr in den Modern Dance gegangen und habe dort prägende Lehrer:innen getroffen.
tanzmuster: Merkst du heute im Alltag, dass dein Körper immer getanzt hat?
Birgit P.: Ja! Ich habe zum Glück auch jetzt, nach langer Tanzpause, noch eine gute Körperhaltung, einen geraden Rücken und kann meine Haltung im Alltag flexibel korrigieren.
Ein:e Tänzer:in ist ein Baum, der eine große Krone hat, ohne dass der Baum im Wind umkippt.
Es ist wichtig, alle Körperextremitäten flexibel zu halten und sie dabei miteinander verbunden sein zu lassen, nicht so isoliert… Das binde ich auch viel in den Unterricht mit ein. Die Jugendlichen haben häufig schlechte Körperhaltungen. Durch ein imaginäres Band am Scheitel wird der Körper in die Höhe gestreckt, der Steiß zieht nach unten. Man arbeitet da mit Millimetern und immerzu mit Bodenkontakt. Das ist auch mein Motto für die Arbeit mit jungen Menschen: Flügel wachsen lassen, um zum Fliegen – und Wurzeln in den Boden geben, um Bodenhaftung zu behalten. Ich würde sagen, genau das brauchen Kinder und Jugendliche fürs Leben!
Mein letzter Tanzlehrer hat es mal so veranschaulicht: Er sagte zum Beispiel: „Guckt euch an, wie Babys sich bewegen!“. Wieder das Thema „aufrichten“: die Bewegungsstadien eines Kindes durchtanzen, die Wachstumsstadien eines Menschen durchlaufen… Und immer wieder die Lehre von Laban, die die Raumebenen erfahrbar macht
tanzmuster: Hast du das Tanzen aufgegeben?
„Brustkorb öffnen!… Wie ein Fenster – und damit in die Welt schreiten!“
Birgit P.: Momentan tanze ich kaum mehr. Ich möchte es sehr gern wieder aufnehmen. Tanztheater, Modern Dance, das begeistert mich nach wie vor. Mein Tanzlehrer ist leider vor ein paar Jahren gestorben. Er war einfach toll. Er hat Tanz und Tanztherapie wunderbar verbunden. Ich höre noch genau, wie er uns erinnert: „Brustkorb öffnen! Wie ein Fenster – und damit in die Welt schreiten!“
tanzmuster: Wie kann man mit dir arbeiten?
Birgit P.: Neben Schulprojekten biete ich Einzeltermine mit Jugendlichen und Erwachsenen an. Das ist ein Coaching zum Umgang mit Körpersprache und zur Selbstbewusstseinsstärkung. Entweder persönlich in Düsseldorf oder nach Absprache online. Kontakt: birgit.polz(at)yahoo.com